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Bio muss auch billig – tegut zieht mit „Bio zum kleinen Preis“ mit

Mit „Bio zum kleinen Preis“ führte der Lebensmittelhändler tegut eine neue Bio-Eigenmarke ein, die bis zu 20 Prozent unter dem Preisniveau von Alnatura liegt. Damit katapultiert sich tegut wieder in die Riege der Preisführer zurück – denn längst diktieren Discounter wie Lidl und Aldi die Bio-Einstiegspreise.

Olivenöl, Tomaten in der Dose, zwei frische Brote aus der Herzberger Bäckerei, Eierspätzle und Ravioli hat tegut bei seiner neuen Eigenmarke „Bio zum kleinen Preis“ bereits im Sortiment. Noch im ersten Quartal 2021 sollen Molkereiprodukte, Wurst, Käse, Haferflocken, Müsli, Kaffee, Öle, vier vegane Brotaufstriche, Süßwaren, fünf Artikel bei Obst und Gemüse, Prosecco und drei Weine folgen. Dann bilden 68 Artikel ein Bio-Basissortiment zum Discountpreis ab. Die bisherige und weiter bestehende Eigenmarke „tegut Bio“ setzt wie gehabt konsequent auf Verbandsware, bei „Bio zum kleinen Preis“ sind die Produkte lediglich nach EU-Bio zertifiziert.

„Wir möchten unseren Kundinnen und Kunden alle Qualitätsstufen von bio anbieten – vom Preiseinstieg bis zum Premium-Markenprodukt. Bei konventionellen Lebensmitteln ist diese Bandbreite üblich, warum sollte das bei bio anders sein“, meint Robert Schweininger, Einkaufsleiter bei tegut. „Unsere Prämisse ist es, dass ‚Bio zum kleinen Preis‘ immer den Discountpreis abbildet. Das ist die Aufgabe, die wir uns gestellt haben.“ Gerade bei der Marmelade, die zwanzig Prozent günstiger als Alnatura ist, habe man mit spitzem Bleistift kalkuliert.

Discounter diktieren die Preise – Bio-Pionier tegut war unter Druck

„Die Discounter wollen das Bio-Segment, das mit 5,3 Prozent Umsatzanteil im Lebensmitteleinzelhandel eine schnell wachsende Nische ist, im Massenmarkt größer aufziehen. Vom Umsatzvolumen her ist Aldi klar Bio-Marktführer und will die eigene Position ausbauen. Lidl hat nochmals Produkte mit dem Zeichen des Anbauverbandes Bioland gelistet“, schreibt die Lebensmittel Zeitung. Das Fachmagazin Biowelt berichtet: „Absoluter Gewinner beim Ringen um Bio: Lidl. Laut GfK stiegen die Bio-Umsätze auf dem Weg zum nachhaltigsten Discounter – so die Zielsetzung des Unternehmens zum Auftakt der Bioland-Kooperation – im Jahr 2019 um 44 Prozent.“

So lange dm mit Alnatura kooperierte, hatten der Drogist dm und der Lebensmittelhändler tegut die Preisführerschaft inne. Als dm jedoch seine Bio-Eigenmarke deutlich unter dem bisherigen Preisniveau platzierte und auch Lidl und Aldi immer mehr Bio-Produkte zum Tiefstpreis anbieten, geriet der Bio-Pionier tegut, der als erster konventioneller Lebensmittelhändler bereits 1982 Bio-Lebensmittel listete und damit heute rund 30 Prozent seines Umsatzes erzielt, mächtig unter Druck und drohte den Anschluss zu verlieren. „Um am Markt mithalten zu können, müssen wir bio auch zum günstigen Preis anbieten, damit wir das volle Spektrum der Kundschaft und deren Bedürfnisse ansprechen“, erklärt Schweininger.

Der erste Testartikel waren 10 Bio-Eier zum Discountpreis von 2,69 Euro. „Aufgrund des attraktiven Preises greifen bisherige Käufer von konventioneller Ware zu bio. Und genau das wollen wir: mehr ökologische Landwirtschaft.“ Tatsächlich sei der Umsatz mit Bio-Eiern aus Verbandsware nicht zurückgegangen, dafür sei aber der Anteil bei konventionellen Eiern gesunken.

Wird Alnatura bei tegut ausgelistet?

Bei dm war die Einführung der Bio-Eigenmarke der Startschuss Alnatura auszulisten – droht nun das gleiche Schicksal bei tegut? „Es gibt kein tegut ohne Alnatura, wir können auf kein Produkt verzichten“, stellt Schweininger klar. Bereits in Bezug auf die Eigenmarke „tegut Bio“ gab tegut Geschäftsführer Thomas Gutberlet in einem Vortrag ein klares Bekenntnis zu Alnatura ab.

Die Entscheidung eine Bio-Eigenmarke auf dem Preisniveau der Discounter einzuführen sei über zwei Jahre gewachsen. Zunächst befürchtete man unter anderem, Umsätze bei Alnatura zu verlieren. Die beiden Unternehmen haben gemeinsame Wurzeln. Da in den 1980ern viele Bio-Hersteller den konventionellen Lebensmittelhändler tegut und den Drogisten dm nicht beliefern wollten, gründete man gemeinsam als „Zwischenpuffer“ Alnatura – heute eine der bekanntesten und wertvollsten Bio-Marken Deutschlands. Dank der Nachfrage von dm und tegut im Rücken, konnte man entsprechende Mengen abnehmen. Das erste Büro von Alnatura war in der Fuldaer tegut-Zentrale und die gemeinsame Vergangenheit als Bio-Pionier schweißt die beiden Unternehmen auch heute noch zusammen. Bei dm haben die Schweißnähte nicht gehalten, zeitweise zofften sich anlässlich der Auslistung die Unternehmen heftigst vor Gericht.

5 Kommentare zu “Bio muss auch billig – tegut zieht mit „Bio zum kleinen Preis“ mit

  1. Sehr spannender Blick hinter die Kulissen, Jens! Als „Einstiegsdroge“ hat Discounter-Bio bei mir auch funktioniert. Deswegen finde ich das nicht grundsätzlich schlecht. Aber welche Folgen das im Einzelnen hat, ist tatsächlich eine gute Frage.

    Und wenn Du schon nicht selbst darauf hinweist: Zu dieser Frage lohnt sich bestimmt auch ein Blick in das neue Buch „Für unsere Zukunft – Wie Bio-Pioniere die Welt verändern“ von Jens Brehl. Als Weihnachtsgeschenk ebenso geeignet: https://www.jens-brehl.de/journalist/buch/.

  2. Werner Liegl

    Bio billig?

    Für mich hat das Thema Bio nur am Rande was mit Essen zu tun. Es ist eher eine Lebenseinstellung. Mein ausschließlicher Einkauf im Bioladen, und da auch nur ausgesuchte Hersteller, soll drei Dinge demonstrieren::

    – Jeder Mensch, Erzeuger, Verarbeiter, Groß- und Einzelhändler soll von seiner Arbeit auskömmlich leben können.
    – Ich möchte, bitte schön, von den Segnungen der Agrarindustrie, verschont bleiben.
    – Ich möchte die Natur und alle zu ihr gehörenden Wesen achten und nur soviel Schaden anrichten, um selbst existieren zu können.

    Bei dieser Sicht spielt ein spätkapitalistischer Preiskampf, ein Buhlen um die Seelen der Kunden (denn um deren Geldbeutel geht es ja schon lange nicht mehr, Ich warte nur noch auf die fixe 9 an der 3. Stelle der Centangabe bei den Preisen) so überhaupt keine Rolle.

  3. Danke für den tollen Bericht Jens! Eigentlich ist es nur folgerichtig, dass tegut mitziehen muss, um seine Anteile an die vorpreschenden Discounter nicht zu verlieren, da ist es immer noch besser sie bleiben bei tegut, als dass sie einen LIDL etc. unterstützen…fragt sich dann nur um welchen Preis man versucht diese Kundschaft zu halten, wer zahlt am Ende dafür: Die Landwirte (das würde das ganze ad absurdum führen), die Kassiererinnen bzw. Personal (was ich nicht hoffe) oder bestenfalls werden die Preise einfach umgelegt und die Kunden zahlen an anderer Stelle einfach ein bisschen mehr, das wäre für mich noch die akzeptabelste Lösung, auch wenn der Trend leider komplett in die falsche Richtung geht, Bio zu Discountpreisen ist nicht mehr glaubwürdig…es bräuchte hier den Staat, der hier den Differenzbetrag aufbringt und die Kosten entsprechend auf die konventionellen Erzeuger umlegt…

  4. Discounter und Bio – heißt doch langfristig, dass es zum selben Irrsinn kommen wird, den wir jetzt schon im konventionellen Bereich haben oder es sehe ich hier nicht?

    • Jens Brehl

      Ist tatsächlich ein komplexes Thema. Einerseits werden neue Bio-Kunden gewonnen, da der Preisunterschied zu konventioneller Ware kleiner ist – um den Marktanteil wesentlich zu stärken, braucht es alle Käuferschichten. Auf der anderen Seite ist weiterer Preisdruck zu befürchten, der im Lebensmittelhandel stellenweise enorm, fast schon pervers ist. Öko-Landwirtinnen und -Landwirte sollen die Artenvielfalt bewahren, Klima schützen, Humus für lebendige Böden aufbauen und mehr. Das geht nur, wenn sie dafür auch fair bezahlt werden.

      Der Grünen-Politiker Martin Häusling hat zu Discountern eine klare Meinung: „Mit Aldi und Lidl mache ich keine Biowende.“

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