Bio? Logisch!

Dann eben nur noch EU-Bio, zur Not halt konventionell

Die bei allen Anbauverbänden mit Ausnahme von Biopark verpflichtende Aufzucht der Bruderhähne ist für etliche Bio-Geflügelhalter finanziell herausfordernd. Die Kalkulation die unwirtschaftliche Mast – viel teures Bio-Futter für wenig Fleisch, welches im schlimmsten Fall niemand haben möchte – durch einen höheren Eierpreis zu subventionieren geht nicht mehr überall auf. Bevor die Kosten sie erdrücken, haben drei Biokreis-Betriebe ihre Mitgliedschaft gekündigt und machen im kommenden Jahr unter EU-Bio weiter. Ohne den Bruderhahn, denn der wird dann bereits als Embryo getötet.


„Es muss etwas passieren, sonst geht die Bio-Geflügelhaltung zugrunde“, warnte Frank Ohrndorf auf der Biokreis-Mitgliederversammlung.
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

Sieben Geflügelhalter aus Nordrhein-Westfalen hatten bei der Mitgliederversammlung des Anbauverbands Biokreis diesen März in Kirchberg an der Jagst den Antrag gestellt, die Geschlechtsbestimmung im Ei als Ausweg aus der Bruderhahnaufzucht zu erlauben. Reift ein männliches Tier heran, wird es aussortiert und getötet. Nach EU-Bio wirtschaftenden Betrieben und Mitgliedern des Anbauverbands Biopark steht dieser Weg offen. Alle in Deutschland marktverfügbaren Verfahren können das Geschlecht erst frühestens am neunten Bruttag bestimmen. Zum Zeitpunkt der Mitgliederversammlung war daher noch nicht absehbar, ob die Technik in Deutschland überhaupt zukunftssicher ist, denn damaligem Recht zufolge musste ein Abbruch der Brut ab 1. Januar 2024 ausschließlich vor dem siebten Tag erfolgen, um ein Schmerzempfinden sicher auszuschließen. Dank neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und rechtzeitiger Gesetzesänderung liegt die Frist ab kommenden Jahr beim zwölften Bruttag.

Der bewussten Bio-Kundschaft könne man zudem das Töten von Embryonen nicht als Ersatz für das mittlerweile in Deutschland verbotene Töten der Küken direkt nach dem Schlupf – welches in allen anderen EU-Ländern erlaubt ist – als glaubwürdige Alternative präsentieren. Zudem fordern konventioneller Lebensmitteleinzelhandel und Bio-Fachhandel vielfach die Aufzucht der Bruderhähne als ethisches Verkaufsargument ein. Die Siegel der Anbauverbände (Ausnahme Biopark) garantieren das. Der Antrag wurde schließlich nach teils hitziger Debatte zurückgezogen.

Finanziell am Limit

Wie hat sich seitdem die Lage der antragsstellenden Betriebe entwickelt, welche Konsequenzen haben Sie gezogen? Mit allen konnte „über bio“ sprechen, die meisten wollen ihren Namen an dieser Stelle aber nicht lesen. Was als eine kurze Umfrage gedacht war, endete in Telefonaten, die bis zu einer Stunde dauerten, oder gleich in mehreren Gesprächen. Die Sorgen sind teils groß, auch wenn vereinzelt der Absatz an Bio-Eiern wieder anläuft. Eins vorweg: Alle Landwirtinnen und Landwirte haben sich bewusst für die ökologische Wirtschaftsweise entschieden und sind mit dem Herzen dabei. Und so darf der Antrag Embryonen töten zu dürfen als das verstanden werden was er ist: ein Hilferuf.

beenhere

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Drei Betriebe haben ihre Mitgliedschaft bei Biokreis zum Ende des Jahres gekündigt, danach geht es unter EU-Bio weiter. Der Biohof von Frank und Elke Ohrndorf ist einer der Betriebe, die die Reißleine gezogen haben. Die unwirtschaftliche Mast der Bruderhähne ließe sich nicht mehr länger finanzieren, auch weil deren Fleischprodukte kaum gefragt sind. Da die Familie ab kommenden Jahr die Aufzucht nicht mehr zahlen muss, wird eine Junghenne der Rasse Lohmann Sandy statt durchschnittlich 24 Euro nur noch mit etwa 16 Euro zu Buche schlagen. Auch die Futterkosten für die Legehennen werden um einige Tausend Euro pro Jahr sinken, da nicht mehr zwingend Verbandsware zugekauft werden muss, sondern Futtermittel nach EU-Bio-Standard dann ausreicht. „Wir halten unsere Tiere weiterhin so wie gehabt“, bekräftigt Elke Ohrndorf. Der Familienbetrieb beliefert mehrere konventionelle Lebensmitteleinzelhändler mit Eiern, nur wenige listen im Gegenzug Bio-Fertiggerichte im Glas vom Bruderhahn. Wenn doch, sei der Absatz überschaubar. Im eigenen Hofladen „geht ein bisschen was.“ Auch im nächsten Jahr wird Familie Ohrndorf weiterhin Bruderhahnprodukte zukaufen und im eigenen Hofladen anbieten. Sollte er auf EU-Bio umsteigen, würde ein anderer der befragten Betriebe bei einer konventionellen Supermarktkette ausgelistet. Die besteht bei Eiern auf regionale Verbandsware, das Fleisch vom Bruderhahn interessiert allerdings nicht.

„Meistens probieren die Kunden alle Bruderhahnprodukte ein Mal durch und das war es dann“, sagt ein anderer Landwirt. Zudem betreibe man eine moderne Form des Ablasshandels, indem man andere Betriebe für die Mast der Bruderhähne bezahlt. Nicht immer sei ersichtlich, wo am Ende das Fleisch landet. Günstig geschlachtet wird beispielsweise in Polen. Zudem stirbt auch ein Teil der Bruderhähne während der Mast, was ganz normal ist. Auch Tiere können krank werden. Doch Gutschriften gäbe es nicht, man müsse trotzdem den vollen Betrag für die Aufzucht bezahlen. „Die Mäster verdienen als einzige am Ganzen“, kritisiert einer der Landwirte. Wenn alle finanziellen Stricke reißen, überlegt ein Betrieb die Hühnerhaltung auszugliedern und konventionell zu betreiben. Das wäre dann aber definitiv der letzte Schritt, den man gehen möchte. Man könne aber doch nicht an Bio zugrunde gehen.

Den Bruderhahn über einen höheren Eierpreis zu finanzieren geht bei einigen Betrieben nicht mehr auf. So berichtet eine Landwirtin, dass sie derzeit ein Ei für 50 Cent an Endkunden abgibt, nötig wären allerdings 60 bis 70 Cent, um alle Kosten zu decken. „Doch wer kauft eine Zehner-Packung für sieben Euro? Niemand.“ Krasser Fall: Ein Bio-Betrieb hat dieses Jahr bereits 10.000 Eier an die örtliche Tafel gespendet, letztes Jahr gingen 30.000 Eier an ein konventionelles Aufschlagwerk – mit entsprechendem Preisabschlag, weil nicht als bio vermarktbar. Auch die gleiche Anzahl Eierschachteln kostete innerhalb von zwei Jahren knapp 3.000 Euro mehr. „Es war gar nicht daran zu denken, mit unseren Bio-Eiern Geld zu verdienen.“

Bruderhähne eigentlich nur Zwischenlösung

Im Grunde sollte die Aufzucht der Bruderhähne ein so kurz wie möglich gehaltener Zwischenschritt zu Zweinutzungsrassen sein, die wieder eine ausgeglichene Balance zwischen Eierlegeleistung und Fleischansatz aufweisen. Zwei der befragten Landwirte sind skeptisch. Bio-Eier und -Fleisch wären noch teurer und folglich noch schwerer zu vermarkten. Die Hühner legen verglichen mit den auch in der ökologischen Landwirtschaft hauptsächlich eingesetzten „Hochleistungsrassen“ weniger Eier. „Ich müsste mehr Hühner halten, um dem Handel die gewünschten Mengen zu liefern. Und für jedes Huhn wird wieder ein Hahn aufgezogen. Wohin mit dem Fleisch?“ Der Zweinutzungshahn kann naturgemäß nicht mit einer einseitig auf einen möglichst hohen Fleischansatz gezüchteten Rasse mithalten – und soll er auch gar nicht. Am Ende dauert seine Mast länger und das Schlachtgewicht ist geringer. Derzeit ist nicht absehbar, dass Zweinutzungsrassen in nennenswerter Zahl schnell und vor allem dauerhaft in der Bio-Erwerbslandwirtschaft einziehen. Deren Anteil dürfte derzeit maximal zwei Prozent betragen.

Eigentlich wollte man bei der Delegiertenversammlung des Anbauverbands Demeter im nächsten Frühjahr über eine Quote von 20 Prozent Zweinutzungsrassen debattieren und darüber abstimmen. Doch der entsprechende Antrag wird nicht gestellt. Die unwirtschaftliche und ökologisch fragwürdige Aufzucht der Bruderhähne wird die Bio-Branche noch etliche Jahre begleiten, von einem kurzen Zwischenschritt redet derzeit kaum noch jemand. Der Markt wird es definitiv nicht regeln.

Bio-Fachhandel ist gefragt

Auf der Mitgliederversammlung diesen März kündigte Biokreis-Geschäftsführer Josef Brunnbauer eine Arbeitsgruppe an, die betroffene Betriebe unterstützen soll. „Wir haben Einkaufsgemeinschaften gebildet, die gebündelt zu günstigeren Preisen Junghennen beziehen.“ Einige hätten das Angebot genutzt, andere hätten sich entschieden lieber unter EU-Bio weiterzumachen. Die befragten Landwirte geben an, Biokreis hätte sich nach der Mitgliedsversammlung nicht mit Vorschlägen gemeldet. „Mitglieder zu verlieren ist immer schmerzhaft“, sagt Brunnbauer, der betont allen Betrieben wurde das Angebot unterbreitet. Das sei über den Landesverband Biokreis Erzeugerring NRW e. V. geschehen. Welche Version stimmt und ob einzelne Betriebe eventuell nicht erreicht wurden, kann „über bio“ an dieser Stelle nicht klären. Fest steht: Den Wunsch auf die Bruderhahnaufzucht zu verzichten kann der Verband nicht erfüllen.

War sichtlich erleichtert, dass der Antrag zurückgezogen wurde: Biokreis-Geschäftsführer Josef Brunnbauer.
Bild: Jens Brehl – CC BY-NC-SA 4.0

„Futter ist wieder günstiger geworden, die Nachfrage nach Bio-Eiern zieht an, das nimmt etwas den Druck raus“, sagt Brunnbauer. Doch der konventionelle Handel und der Bio-Fachhandel haben scheinbar in weiten Teilen die ökologische und in Anbauverbänden organisierte Landwirtschaft noch nicht verstanden. Ohne Fleisch vom Hahn gibt es auch keine Eier. „In der Realität stehen nur Produkte im Regal, die sich gut verkaufen.“ Brunnbauer äußert Verständnis für die derzeit angespannte Situation des Bio-Fachhandels, der in den letzten Quartalen massiv Kundschaft unter anderem an Discounter verloren hat. Auch hier hofft der Geschäftsführer, dass sich die Lage entspannt, damit „der Bio-Fachhandel künftig bereit ist und die Kapazitäten hat, um seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen.“

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