Hohe Inflation, extrem gestiegene Energiepreise und die angesichts globaler Umweltkrisen wie dem Klimawandel immer dringendere ökologische Transformation sind enorm herausfordernd. Neue Wege und Lösungsansätze gilt es in der gesamten Lebensmittelwirtschaft nicht nur zu finden, sondern so schnell wie möglich zu implementieren und damit wirtschaftlichen Erfolg zu sichern. In diesem Spannungsfeld ist das im hessischen Fulda beheimatete Green Food Cluster tätig. Drängt auf vielen Ebenen die Zeit, ist das Unternehmensnetzwerk jedoch zunächst in eine notwendige und sinnvolle Konsolidierungsphase eingetreten, um sich im vierten Jahr des Bestehens zu orientieren. Erste Einblicke gewährt der neue Cluster-Präsident Bernd Müller.
Ihre bisherigen beruflichen Stationen waren in der konventionellen Fleischwirtschaft, Sie bringen demnach keine spezielle Expertise aus der Bio-Lebensmittelbranche mit. Wieso haben Sie dennoch als Präsident für das Green Food Cluster kandidiert, dessen Ziel unter anderem das Unterstützen der Mitglieder bei deren ökologischen Transformation ist?
Zunächst einmal, weil ich das Thema ganz einfach spannend finde. Mein Vater war Geschäftsführer der Kurhessischen Fleischwarenfabrik (die zum Lebensmittelhändler tegut gehörte und Ende Februar 2017 von der Deurer Gruppe übernommen wurde, die am Standort seitdem Tiernahrung herstellt, Anmerkung Jens Brehl) und Vorstand bei tegut. Über viele Jahre hat er daher die Nachhaltigkeitsgedanken der Familie Gutberlet mitgetragen und das hat ein gutes Stück auf mich abgefärbt. Bei Kraftsdorfer Fleischwaren haben wir ebenfalls Bio-Produkte hergestellt. Auch die Eichsfeldgut Reimann GmbH aus Thüringen, die ich als Geschäftsführer leitete, produziert Bio-Stracke. Allerdings habe ich gesehen, dass Bio nicht immer besser ist. In Sachen Tiergesundheit gibt es durchaus Probleme. Das Green Food Cluster ist ökologisch ausgerichtet, wobei es weniger um bestimmte Label geht.
Ich sehe es durchaus als Vorteil, kein absoluter Experte im Bio-Bereich zu sein. In Menschen und Unternehmen, die ihre ersten ökologischen Schritte machen wollen, kann ich mich gut hineinversetzen. Dadurch gelingt es mir wahrscheinlich besser sie abzuholen und auf einen gemeinsamen Weg mitzunehmen.
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Was sind dringend notwendige Schritte bei der ökologischen Transformation der Mitgliedsunternehmen? Wo klemmt es besonders und inwiefern unterstützt das Cluster konkret?
Natürlich haben wir dazu einen groben Überblick, aber wir erheben derzeit genaue Daten wo die einzelnen Unternehmen stehen, wie die individuellen nachhaltigen Ziele aussehen und was sie konkret von der neuen Führung erwartet wird. Auch hier ist es unser Anliegen, die Mitglieder enger zu verzahnen, um voneinander zu lernen. Im zweiten Schritt werden wir konkrete Lösungen anbieten – wobei wir nicht auf jedes Problem eine Antwort finden werden.
Angesichts globaler Krisen wie Artensterben und Klimawandel drängt die Zeit, auch auf regionaler Ebene ökologisch neue Wege zu gehen.
Das Cluster ist kein Club der Schwarzseher. Wir versuchen Unternehmern und Entscheidern klar zu machen, an welch wichtigen Schalthebeln sie sitzen. Sie tragen eine große gesellschaftliche Verantwortung. Hält eine ökologisch nachhaltige Philosophie Einzug, nimmt man Mitarbeiter, Lieferanten und die Kundschaft mit – wobei es natürlich immer gewisse Beharrungskräfte geben wird.
Einen niederschwelligen Einstieg ins Cluster zu ermöglichen und dadurch zu den ersten Schritten zu motivieren ist sinnvoller, als gleich das volle ökologische Programm zu fordern. Das schreckt eher ab, weil die erste Hürde dann als zu hoch empfunden wird.
Wer mit den Begriffen „grün“ oder „green“ aktiv ist und wirbt, hat eine hohe Verantwortung in Sachen Glaubwürdigkeit. Manch ein Unternehmen möchte sich vielleicht mit der Mitgliedschaft im Cluster einen grünen Anstrich verpassen – Stichwort Greenwashing. Was passiert mit Mitgliedsunternehmen, die es mit der ökologischen Transformation nicht ernst meinen?
Wir sind für eine breite Basis offen, deren ökologische Ausrichtung unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Der Vorstand entscheidet, ob es potenzielle Neumitglieder mit der Transformation ernst meinen und aufgenommen werden oder ob diese das Cluster nur als Trittbrett zu Greenwashing nutzen wollen und daher keinen Platz bei uns finden. Um sich zunächst kennenzulernen, nutzen wir sechsmonatige Probemitgliedschaften. Wenn die gemeinsamen Werte nicht passen, gilt es im Zweifelsfall die Konsequenzen zu ziehen und ein Mitglied auszuschließen. Über einen möglichen Ausschluss entscheidet die Mitgliederversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit. Bisher war das noch nicht nötig.
Wobei es definierte Werte braucht, um erkennen zu können wer als vollwertiges Mitglied passt. Wie sieht es mit einem festen ökologischen Leitbild aus?
Es wird Regeln geben, nach denen wir uns auch richten. Diese müssen wir noch genau definieren und wollen sie vor allem gemeinsam entwickeln. Wenn ein Mitglied dann in einem gewissen Zeitrahmen bestimmte Faktoren nicht erfüllen kann oder will, suchen wir das Gespräch und klären, ob wir das Unternehmen in seiner weiteren Entwicklung noch fördern und unterstützen können.
Was können Sie mehr bieten, was nicht schon Wirtschafts- oder Berufsverbände leisten, denen auch die Cluster-Mitglieder angehören?
Besonders der Wissenstransfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft zeichnet uns aus. Das Cluster wurde an der Hochschule Fulda gegründet und wir arbeiten nach wie vor eng zusammen. Studierende suchen Praktika, Unternehmen Fachkräfte – speziell in den Lehrbereichen Lebensmitteltechnologie und Oecotrophologie entstehen Ideen zu neuen Produkten, die ihren Weg auf den Markt finden sollen. Wir wollen es ermöglichen, dass Innovationen auch eine wirtschaftliche Basis erhalten, indem wir beispielsweise Start-ups aktiv fördern.
In ihrer Antrittsrede sprachen Sie davon, den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Vertrieb zu legen. Was ist hier konkret zu erwarten?
Aus uns wird kein reines Vertriebsnetzwerk, das wissenschaftliche und ökologische Fundament ist schon prägend. Dennoch gehört es zu den Aufgaben, den Mitgliedsunternehmen eine Sichtbarkeit zu geben. Dazu bringen wir Erzeuger, Verarbeiter und Händler an einen Tisch. Im besten Fall werden wir attraktiv für regionale Kaufleute, die dann wiederum ihr Wissen einbringen, welche Produkte im Handel besonders gefragt sind oder eben nicht – und vor allem welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, um einen Platz im Regal zu bekommen.
Die Herbstaktion mit tegut Mitte Oktober vergangenen Jahres war ein erster Auftakt. Über vier Wochen konnten sich beim Lebensmittelhändler bereits gelistete und drei neue Clustermitglieder – Rudolf Fehrmann mit konventionellen Gewürzmischungen, Imkerei Ferdinand Keidel mit konventionellem Honig und Brennerei Bold mit Bio-Bränden – in ausgewählten Filialen präsentieren. Solche Aktionen müssen wir öfter lancieren.
Tegut nahm die Aktion auch zum Anlass, neue Produkte und Lieferanten zu testen. Wenn sie sich innerhalb von vier Wochen bewähren, würden sie möglicherweise fest gelistet. So hieß es damals, bis dato ist aber noch nichts entschieden. So richtig Schwung scheint nicht aufgekommen zu sein.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Im Handel wartet generell niemand auf neue Lieferanten, es bedeutet harte Arbeit dauerhaft gelistet zu werden. Man muss immer wieder nachhaken und das Gespräch suchen. In der Regel braucht es einen Zwei-Jahresplan mit entsprechenden Werbekostenzuschüssen und mehr, damit sich das Engagement nachhaltig auswirkt
Im Alter von 23 Jahren erwarb Bernd Müller gemeinsam mit seinem Bruder Dirk eine Salamifabrik in Thüringen von der Treuhand. Die Kraftsdorfer Fleischwaren GmbH leitete er 18 Jahre als geschäftsführender Gesellschafter. Ab 2012 war er sechs Jahre Geschäftsführer der Metzgerei Robert Müller im hessischen Flieden. Er ist als selbständiger Unternehmensberater tätig und wurde Mitte November 2022 zum Präsidenten des Green Food Clusters mit Sitz im hessischen Fulda gewählt. Präsidium wie auch Vorstand des Clusters sind ehrenamtlich tätig.
Bild: Jens Brehl
Über das Green Food Cluster
Das Innovationsnetzwerk wurde am 6. März 2020 an der Hochschule Fulda mit 17 Mitgliedern gegründet, seit 1. Januar 2023 ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Region Fulda der Träger. Das Green Food Cluster zählt 23 Mitglieder vom Einzelunternehmen bis zum Mittelständler aus unterschiedlichen Bereichen der Lebensmittelwirtschaft entlang der Wertschöpfungsketten. Diese sind hauptsächlich in der Region rund um Fulda beheimatet. Wirtschaftlicher Erfolg soll mit dem Steigern von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen – angelehnt an die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Der Wissenstransfer steht dabei im Fokus. Um zu wachsen, sollen weitere Mitglieder aus Hessen, Bayern und Thüringen ihren Weg ins Cluster finden. Das Green Food Cluster gehört zum Förderprogramm Regionale Innovationscluster (Clusternetzwerk) und erhält eine 50 prozentige Förderung durch das Land Hessen.
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