Bio? Logisch!

Klimawandel verändert Gemüse – gewöhnt euch dran

„Was wir täglich wegschmeißen ist unvorstellbar“, sagte Lance Sidio, Einkaufsleiter Obst und Gemüse des Bio-Großhändlers Naturkost Elkershausen auf der AgrarBündnis-Tagung diesen Mittwoch im hessischen Kassel. Täglich wandert eine Palette Bio-Obst und -Gemüse in den Abfall, ein Großteil der Ware ist genießbar. Durch überzogene Schönheitsideale seitens der Kundschaft sind die Produkte allerdings nicht vermarktbar. Die Folgen des Klimawandels verschärfen diese Problematik schon heute.

Bis zu 100 Tonnen Bio-Lebensmittel verlassen werktäglich den Hof von Naturkost Elkershausen in Richtung Bio-Supermärkte und -Läden. Ganzjährig sind etwa 350 verschiedene Obst- und Gemüseprodukte im Sortiment, und dass diese auch mit Schönheitsfehlern noch wertvolle Lebensmittel sind, sei in weiten Teilen den Bio-Fachhändlern und der Endkundschaft klar. Genießbare Lebensmittel gehören auf Teller und nicht in die Tonne. Die Realität sieht brutal anders aus. „Exakt dieselbe Kiste Bananen kann ich an zehn Kunden liefern und hätte anschließend sieben Reklamationen auf dem Tisch: Dem einen sind sie zu grün, zu gelb, zu krumm. Das Schlimmste sind Himbeeren, die dürfte man eigentlich nur als Tiefkühlware anbieten.“ Daher kann durchaus eine Palette mit 180 Kisten a zwölf Bio-Schlangengurken in der Lagerhalle des Großhändlers stranden, weil bei einigen die Enden weich sind. „Liefere ich diese Ware aus, bedeutet das 100 Prozent Reklamation.“ Zwar kooperiert Naturkost Elkershausen mit sozialen Einrichtungen, Lebensmittelrettern und erlaubt ausdrücklich das sogenannte Containern, doch die anfallenden Mengen lassen sich punktuell nicht schnell genug verteilen. Endstation Abfall.

Mission im Bio-Fachhandel gescheitert?!

Derart Ressourcen für Anbau und Transport zu verschwenden ist ökologisch zumindest fragwürdig. Doch der Fehler liegt im System. Wer als Bio-Händler anmerke, er könne sehr gut auch Ware zweiter Wahl verkaufen, sei mitunter der erste, der die entsprechende Lieferung beanstandet, machte Sidio klar. Der Bio-Fachhandel ist ursprünglich angetreten, um im wahrsten Sinne des Wortes ökologischer und sozialer zu handeln und eben nicht die Mechanismen der großen konventionellen Handelsketten zu übernehmen. Dazu gehört auch Lebensmittelverschwendung einzudämmen und das Bewusstsein zu schaffen, dass Obst und Gemüse als Naturprodukte nicht immer exakt gleichförmig sein können. Realitäts-Check: „Die Ladner benötigen Ware, die sich von selbst verkauft. Das ist der Anspruch.“ Es fehle oftmals die Zeit, Kundschaft aufzuklären, die danach vielleicht sogar in den Discounter abwandern würde und dort zu formschönem Bio-Gemüse greift. Schon lange ist hier auch Verbandsware zu oftmals günstigen Preisen zu finden.

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„Der Klimawandel hat jedoch dazu geführt, dass die Ware nicht mehr so uniform ist. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich darauf einlassen, denn es sieht eben nicht immer alles so aus wie früher“, machte Sidio klar. In das gleiche Horn stieß auch Andreas Backfisch, Leiter des nach Bioland-Richtlinien zertifizierten Gemüsebaus Rote Rübe – Schwarzer Rettich aus dem niedersächsischen Gleichen. Ökologischer Gemüsebau sei schon immer herausfordernd gewesen, der Klimawandel legt noch eine Schippe drauf. „Die letzten fünf heißen Jahre haben uns ganz schön zugesetzt – trotz Sonnenschutz auch körperlich.“ In der Hitze wurde der Salat auf dem Feld innerlich regelrecht gekocht. Wassersparender Anbau sei schon immer wichtig gewesen. Stichworte Tröpfchenbewässerung und Mulchen. „Wir passen uns dem Klimawandel an, so gut wir können.“ Gleichzeitig zeige sich die Kundschaft immer wählerischer. Um einen Teil der Vermarktung in eigener Hand zu haben, hat der Bioland-Betrieb bereits 1999 den Bio-Lieferservice Lotta Karotta im Landkreis Göttingen ins Leben gerufen. In den ersten beiden Pandemiejahren gab es 1.500 Abo-Kisten, nun sei es ein Drittel weniger. „Sind uns die Kunden zuvor nachgelaufen, müssen wir heute bei ihnen betteln, damit sie uns etwas abkaufen.“ Und was ist mit der „B-Ware“?

„Die Toleranz ist mit viel Kommunikation erreichbar. Derzeit ist unser Brokkoli relativ klein. Daher liegt ein Zettel in jeder Kiste, der erklärt warum dies so ist.“ Ansonsten fühle sich die Kundschaft mitunter verschaukelt, was man ihr „untergejubelt“ habe. Der Plan geht auf, doch man solle den zusätzlichen Arbeitsaufwand nicht unterschätzen. Auch Naturkost Elkershausen ist bei Produktfotos dazu übergegangen, nicht mehr die „Topmodels“ abzubilden, sondern die Realität. Dies erleichtere den Abverkauf an die Endkundschaft.

Weniger Wasser, mehr Regionales

Diesen Februar startete das Projekt „Bio-Klima-Gemüse“ an der Universität Kassel, um wassersparende ökologische Anbaumethoden zu untersuchen und im Praxisteil bestenfalls Wertschöpfungsnetze für nordhessisches Bio-Gemüse zu etablieren. Es läuft bis 2026 und wird vom Land Hessen im Rahmen des Öko-Aktionsplans mit 700.000 Euro gefördert. „Wassersparende Anbauverfahren werden im Zuge der Klimawandel bedingten Dürren benötigt, um den Bio-Gemüseanbau zukunftsfähig zu machen und Erträge zu halten“, erklärte Silke Flörke, die im Projekt als Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis tätig ist.

Im nächsten Schritt stehen unter anderem Experteninterviews mit Akteuren an, um Potenzial und Herausforderungen zu identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Regionaler Anbau ist in Sachen CO2-Bilanz mitunter nur die halbe Miete, worauf Hanna Pohlmann hinwies, die bei „Bio-Klima-Gemüse“ dem Bereich Wertschöpfung und Vermarktung zugeordnet ist. „Lebensmittel, die im Ausland effizienter produziert werden, können die Emissionen des Transports häufig ausgleichen. Zumal der Treibstoff-Einsatz bei größeren Ladungen umgerechnet besser abschneidet, was wir besonders bei konventionellen Lieferketten finden.“ Ebenso ein Klima-Manko ist heimisches Obst und Gemüse, welches lange gekühlt werden muss, damit es auch außerhalb der Saison erhältlich ist. Wer zudem mit dem eigenen Verbrenner-Auto über sechs Kilometer zum Hofladen fährt, ruiniert die Klimabilanz regionaler Produkte. „Daher gibt es unterschiedliche Ergebnisse, ob lokale Ernährungssysteme besser sind“, zeigte Pohlmann eins von vielen Spannungsfeldern des Projekts auf.

1 Kommentar zu “Klimawandel verändert Gemüse – gewöhnt euch dran

  1. Sehr interessant, Jens! Und tolle Fotos.

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