Paukenschlag vergangenes Frühjahr: Die Demeter-Gärtnerei in Loheland hatte das Angebot der Gemüsekisten beendet und damit einen Teil der Erwerbslandwirtschaft eingestellt. Nun gilt es neue und tragfähige Konzepte für den Traditionsort der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise zu finden. Dies ist nun die Aufgabe der neuen Doppelspitze in der Geschäftsführung. Dr. Maximilian Abou El Eisch-Boes zeigt sich offen für verschiedene Ansätze und bringt zudem 14 Jahre Erfahrungen aus Sekem mit, wo ägyptische Wüste erfolgreich urbar gemacht wird.
Warum wurde die Gärtnerei kurz nach Beginn der bereits vorbereiteten Saison 2023 umstrukturiert und das Angebot der Gemüsekisten eingestellt?
Mit relativ kleiner Fläche und relativ kleinem Absatz ist es schwer, eine Wirtschaftlichkeit darzustellen. Ein paar Gemüsekisten reißen es eben nicht raus. Auch die Logistik ist herausfordernd. Hinzu kamen Vorgaben vom Gesundheitsamt, die Investitionen nötig gemacht hätten. Und dies in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Lage von Loheland insgesamt angespannt war. Daher mussten im grünen Bereich – der Forst, Landwirtschaft und Gärtnerei umfasst – radikal Kosten eingespart werden. Ich bin vielen Konzepten aufgeschlossen, die sich aber selbst tragen müssen. Haupteinnahmequelle der Loheland-Stiftung ist derzeit die Schule, die soll und kann nicht alles quersubventionieren.
Welche Investitionen waren gefordert?
Ein bestehendes Gebäude hätte für entsprechende Lager- und Abpackräume umgebaut werden müssen – auch um Logistik und Absatz auf ein neues Level zu heben und Abläufe effizienter zu gestalten. Am 1. November vergangenen Jahres ist Marika Abel in die Geschäftsführung eingestiegen, ich zwei Monate vorher. Man hatte sich vor unserer Zeit gegen die Investitionen entschieden. Die Vorgaben des Gesundheitsamts schaue ich mir noch detailliert an. Man kann sich durch sie blockiert sehen oder Wege finden. Das entscheidende Kriterium ist jedoch, tragfähige und motivierte Menschen zu finden.
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Sollte die Gärtnerei etwas größer aufgezogen werden, damit sie wirtschaftlicher betrieben werden kann, stehen neben Lager- und Abpackräumen sicherlich noch Investitionen in die Gewächshäuser an. Die haben zwar ihren Charme, aber sie sind auch teils in die Jahre gekommen. Einen gewissen Investitionsstau meine ich zu erkennen.
Sicherlich gilt es, die Gewächshäuser zu modernisieren. Bisher stellen wir aus unseren eigenen Produkten ein paar Salben und Kräutersalz für den Markt am Schulbasar her, aber es findet darüber hinaus keine weitere Veredelung und damit keine weitere Wertschöpfung im Bereich der Lebensmittel statt. Auch hier könnte man gezielt ansetzen. Es bleibt jedoch die Gretchenfrage, ob wir ein effizient durchgestaltetes und zu heutigen Wettbewerbsbedingungen konkurrenzfähiges Unternehmen sein wollen. Unsere Kernaufgabe ist die Pädagogik und das Schaffen von Begegnungsräumen.
Die Tagungsstätte Wiesenhaus, die Rudolf-Steiner-Schule und der eigene Laden auf dem Gelände werden weiterhin mit Gemüse versorgt. Die Gemüsekisten hatten auch Menschen außerhalb von Loheland erreicht.
Die Idee ist toll und das Thema will ich nicht begraben. In einem weiteren Schritt möchten wir die Elternschaft, die werktäglich ihre Kinder zur Schule bringt und abholt, für unser Gemüse begeistern – ohne dafür ein Verteilerzentrum aufmachen zu müssen.
Loheland liegt auf 430 Höhenmetern mit entsprechend kaltem Klima und dazu noch auf sandigem Boden: Buntsandsteinverwitterungsboden, beziehungsweise Röd. Für eine wirtschaftlich tragfähige Landwirtschaft und Gemüsebau sind das salopp gesagt keine idealen Voraussetzungen. Käme es infrage weitere Flächen pachten?
Wir müssen aus den bestehenden Möglichkeiten mehr machen und wollen nicht expandieren. Daher ein klares Nein. Loheland sehe ich eher als Ort der gesellschaftlichen Reform, wo Wirtschaft, Soziales und Kulturelles miteinander verwoben sind.
Wie geht es nun mit eigenen Mitteln weiter?
Am Horizont kristallisiert sich der Plan heraus, Landwirtschaft und Gärtnerei verstärkt auf pädagogische Zwecke auszurichten. Durch den Lebensraum Schule sind die Kinder bereits eingebunden, haben Kontakt zu den Tieren, bewirtschaften einen eigenen Garten und nehmen das geerntete Gemüse mit nach Hause. Das gilt es noch zu vertiefen und zu verfeinern.
Seit jeher waren die Landwirtschaft und die Gärtnerei auf die Pädagogik ausgerichtet. Daher ist es verwunderlich, dass diesbezüglich weiter in die Tiefe gegangen werden muss. Es klingt, als hätte man in den letzten Jahren einiges schleifen lassen.
Unser mit der Natur verwobenes Bildungsangebot ist zeitgemäß und richtig. Dies gilt es in weiteren Fächern unterzubringen, indem beispielsweise der Mathematikunterricht zeitweise draußen stattfindet. Mit den Schülern begleiten wir bereits den kompletten Lebenszyklus der Schafe und verarbeiten dabei auch die Wolle. Solche Arbeit stelle ich mir zusammen mit engagierten Kollegen und Kolleginnen vor. Solche Formate umzusetzen ist herausfordernd, keine Frage. Mit 16 neu eingestellten Lehrkräften müssen ineinandergreifende Konzepte zunächst entwickelt werden und sich dann in der Praxis einspielen. Ich bin in diesem Punkt sehr zuversichtlich.
Wie offen ist Loheland für von außen herangetragene Lösungen?
Den grünen Bereich aus eigenen Kräften alleine wirtschaftlich darstellen zu wollen hat sich nicht bewährt. Das ist auch nicht unsere Kernaufgabe. Kämen engagierte Demeter-Landwirte, die unsere Flächen unternehmerisch mitgestalten oder pachten und die vorhandene Infrastruktur nutzen und offen für pädagogische Konzepte sind, würde uns das total entlasten. Das Potenzial ist groß, man muss es „nur“ greifen.
Mindestens zwei Mal kam bereits der Impuls auf, die Gärtnerei zumindest in Teilen auf das Modell der Solidarischen Landwirtschaft umzustellen. Hier sichert eine Gemeinschaft die finanzielle Grundlage, der Betrieb kann sich unabhängig vom Markt entwickeln. Die damalige Geschäftsführerin Ursula Grupp hatte grünes Licht signalisiert, die Saison 2020 sollte ursprünglich der Startschuss sein. Dann ist das Projekt versandet. Wie steht es um das Vorhaben?
Dieses Thema werde ich definitiv noch einmal aufgreifen. Wenn ein gutes und stimmiges Konzept gefunden ist, wird es auch schnell beschlossen – ob aus eigener Kraft oder mit einem Pächter. Die Abnahmegarantie schafft die dringend benötigte wirtschaftliche Sicherheit, zudem würde dies Loheland als Begegnungsraum unterstützen.
Öffentliche Fördermittel wären eine weitere Möglichkeit in ökologische Nachhaltigkeit zu investieren und gleichzeitig den wirtschaftlichen Druck zu senken.
Gutes Stichwort. Das Rote Höhenvieh ist eine vom Aussterben bedrohte Nutztierrasse, für deren Halten und Zucht wir bereits Fördergeld bekommen. Aber das ist kein großer Topf. Derzeit schauen wir uns weitere Förderprogramme an, die beispielsweise das Erhöhen von Biodiversität fokussieren. Ein Förderprojekte-Team in unserem Haus haben wir noch nicht, daher liegt das auf meinem Schreibtisch. Bereits in Sekem zählte es zu meinen Aufgaben, Fördermittel beispielsweise für effizientes Bewässern oder erneuerbare Energie an Land zu ziehen.
Die ökologische Landwirtschaft ist nicht perfekt, leistet aber in vielen Punkten wertvolle Beiträge für Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz. Mögen die Flächen von Loheland im Vergleich mit Sekem freundlich ausgedrückt überschaubar sein, werden auch sie unter dem Strich positive Effekte für das Gemeinwohl haben. Das ist aber für viele komplex, abstrakt und daher schwer nachvollziehbar. Wie könnte man den ökologischen Mehrwert verständlich kommunizieren?
Der Ansatz der Regionalwert-Leistungsrechnung ist vielversprechend, den wir auf jeden Fall testen. Hier werden neben ökologischen Beiträgen auch soziale und kulturelle Aspekte mit einbezogen – Bereiche, in denen wir besonders punkten können. Zudem ist der Leistungsrechner ein wertvolles Instrument für den Dialog, um Menschen zu begeistern. Gleichzeitig zeigt die Auswertung als ganzheitlich aufgestelltes Berichtswesen unsere Risiken und Chancen auf.
Die Regionalwert-Leistungsrechnung
Anhand rund 300 Kennzahlen wird ermittelt, welche ökologischen und sozialen Leistungen ein Betrieb für die Gesellschaft erbringt und wie viel sie in Euro wert sind. Die Daten geben Landwirtinnen und Landwirte eigenständig im Online-Tool ein. Die Nachhaltigkeitsleistung wird zusätzlich auf einer Prozent- und Farbskala als Nachhaltigkeitsgrad ausgegeben, so dass individuelles Entwicklungspotenzial identifiziert wird. Eine Lizenz ist kostenpflichtig. Nachteil: Die Ergebnisse fußen rein auf Eigenangaben. Eine unabhänige Kontrolle, ob sich die ökologischen Mehrwerte auch tatsächlich eingestellt haben, gibt es bislang noch nicht.
Ihre direkte Vorgängerin war nur knapp zwei Jahre in Loheland tätig. Ein Wechsel in der Geschäftsführung innerhalb kurzer Zeit sorgt auch für eine gewisse Unruhe, oder?
Der Punkt, an dem wir insgesamt stehen, wundert mich nicht. Die letzten Jahre waren mit der Corona-Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auch für uns herausfordernd. Ist dann noch absehbar, dass eine Tätigkeit als Geschäftsführerin nach kurzer Zeit bald endet, werden langfristige Ziele eher den Nachfolgern überlassen.
Daher erkenne ich den Bedarf für eine gemeinsam entwickelte starke Zukunftsvision, an der wir unser gesamtes Tun ausrichten. Derzeit dreht sich alles ums „Löschen von tagesaktuellen Bränden“. Dem Strategischen muss mehr Gewicht zukommen. Das stärkt dann wieder den sozialen Kitt, der ein Stück weit zerbrochen ist. Wunden heilen, in die Zukunft schauen und daraus eine Kraft entwickeln, die uns nach vorne zieht, steht auf dem Plan. Das Gute: Wir fangen bei Loheland ja nicht bei null an, hier möchte viel werden.
Im ägyptischen Sekem waren sie für die nachhaltige Entwicklung zuständig. Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen, die Sie in ihre aktuellen Aufgaben einfließen lassen?
Gelebte Vielfalt eröffnet Möglichkeiten und schafft Resilienz. Gesellschaftliche Probleme bekommen wir nicht alleine durch Spezialisierung in den Griff. Bildung, Ökologie und Ökonomie gilt es in Einklang zu bringen. Wir müssen endlich begreifen, dass sich unter dem Strich immer alles darum dreht, Menschen zu ermöglichen sich weiterzuentwickeln und einen Beitrag zum großen Ganzen zu leisten.
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