Augen auf beim Eierkauf: Kunden bei Rewe oder Penny werden wohl bald bundesweit sogenannte „RespEGGt“-Eier in den Läden finden, vielerorts sind sie schon in den Regalen. Auf der Packung ein gelbes Herz mit dem Schriftzug „Ohne Kükentöten“. De facto werden die männlichen Küken allerdings nach wie vor getötet, zwar nicht wie bisher direkt nach dem Schlüpfen, sondern bereits als Embryo im Ei. Von Verbrauchertäuschung mag man seitens Rewe allerdings nicht sprechen.
Es ist eine Krux: Bis zu 320 Eier legt ein auf diese Höchstleistung entsprechend gezüchtetes Huhn. Dafür setzt es kaum Fleisch an und somit sind die männlichen Tiere nicht für die Mast geeignet. Jährlich werden in Deutschland zwischen 40 und 45 Millionen Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet und anschließend beispielsweise in Zoos verfüttert. Auch unter dem Label „RespEGGt“ mit dem Versprechen „ohne Kükentöten“ finden männliche Tiere einen frühen Tod – als Embryo im Schredder.
„Ja, es wird bestehendes Leben beendet, aber kein in der Entwicklung weit fortgeschrittenes Küken getötet. In der Branche, Politik und bei Tierschutzorganisationen ist es Konsens, dass die Auslobung ‚ohne Kükentöten‘ richtig ist“, sagt Rewe-Pressesprecher Thomas Bonrath. Die In-Ovo-Selektion, also die Geschlechtsbestimmung im Ei, sei der richtige Schritt von der Praxis des „echten Kükentötens nach dem Schlupf“ abzukommen. „Derzeit gibt es keine bessere, marktkonforme Option.“ Mittels der eingesetzten Seleggt-Methode lässt sich derzeit frühestens am neunten Bruttag das Geschlecht des Embryos bestimmen.
Dazu wird mittels eines Lasers ein 0,2 Millimeter großes Loch in das Ei geschnitten, eine geringe Menge Allantoisflüssigkeit entnommen und die Geschlechtshormone bestimmt. Eier mit männlichen Embryos werden geschreddert, getrocknet und landen in Form von Mehl oder Pellets als Futter in der Schweinemast. Die innere Eimembran würde sich nach dem Test von alleine schließen und die Embryos nähmen keinen Schaden. Schließlich sollen ja auch gesunde eierlegende Hühner schlüpfen. Allerdings konnte Kristin Höller von der Seleggt GmbH bei einer Podiumsdiskussion auf der diesjährigen Biofach bei den getöteten männlichen Embryos das Schmerzempfinden nicht ausschließen, da in der Wissenschaft dazu kein Konsens herrsche. Höller verwies auf ein Arbeitspapier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Darin ist zu lesen, dass vor dem siebten Bruttag mit Sicherheit kein Schmerzempfinden vorhanden ist, es ab den 15. aber der Fall ist. „Das Geschlecht nicht vor dem neunten Bruttag bestimmen zu können, ist eine Schwachstelle unseres Systems. Wir arbeiten aber weiter daran, das Verfahren zu verbessern oder andere zu entwickeln“, erklärte Höller. In naher Zukunft sei in dieser Hinsicht allerdings mit keinem Ergebnis zu rechnen.
Weniger Durchblick für Verbraucher
Deutliche Worte fand Inga Günther von der gemeinnützigen Ökologischen Tierzucht bei besagter Podiumsdiskussion zu den „RespEGGt“-Eiern. Der Verbraucher habe mit der Auslobung „ohne Kükentöten“ noch weniger Durchblick, welche Produkte er kaufen soll, um auch männlichen Küken das Leben zu ermöglichen. Dies ist eben nur bei „Bruderhahnprojekten“ oder bei Zweinutzungsrassen gewährleistet. „Das ist eine Verschlimmbesserung der Situation“, sagte sie entschieden. „Wenn der Verbraucher versteht, dass dennoch männliche Küken getötet werden und der Energieaufwand aus ihnen Ferkelfutter zu machen sehr hoch ist, wird er ‚RespEGGt‘-Eier nicht mehr akzeptieren.“ Auch für Geflügelzüchter Werner Hockenberger ist es fraglich, ob die Verbraucher das Seleggt-Verfahren gutheißen, wenn die ersten Bilder vom Schreddern der Embryonen in den Medien auftauchen. Unter dem Strich hat man das Töten von Küken mit Töten von Embryonen getauscht – auch wenn der Werbeslogan „ohne Kükentöten“ juristisch korrekt sein mag, da die Begriffe im Lebensmittelrecht nicht eindeutig definiert sind.
Kükentöten bald beendet?
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen Didier Guillaume europaweit das Ende des Tötens der Küken direkt nach dem Schlüpfen bereits für Ende 2021 angekündigt. Fraglich ist tatsächlich, ob für das Fleisch überhaupt genug Nachfrage gäbe, schließlich gäbe es nach heutigem Stand alleine in Deutschland mindestens 40 Millionen Hähne mehr zu mästen.
Auch daher wird die Geschlechtserkennung im Ei in der Lebensmittelbranche und im Bundesministerium als praktikable Brückentechnologie betrachtet, bis die Zucht wirtschaftlich tragfähiger Zweinutzungsrassen hervorgebracht hat. Bis dato werden Zweinutzungstiere vor allem in einem kleinen Teil der ökologischen Landwirtschaft genutzt. Welche Bio-Betriebe heute schon Zweinutzungshühner und -hähne halten, zeigt die interaktive Karte.
Bioverbände weitgehend einig: Hähne leben lassen
Die Seleggt-Methode wird derzeit hauptsächlich in konventionellen Brütereien eingesetzt. Nur in Frankreich gäbe es laut Höller entsprechende Bio-Eier. „Jetzt ist es noch klarer: Demeter will kein Kükentöten mehr, aber auch keinen faulen Kompromiss, wie man ihn mit der In-Ovo-Selektion eingehen würde. Denn damit würden die männlichen Küken nur früher getötet. Wir gehen der Fragestellung, wie man mit den männlichen Tieren in der Legehennenhaltung umgeht, ganzheitlich um: Mit der Ökologischen Tierzucht haben wir die Züchtung des Ökohuhns der Zukunft auf den Weg gebracht – hier werden beide Tiere aufgezogen, Hahn und Henne“, ließ Demeter-Vorstand Alexander Gerber in einer Pressemitteilung verlauten.
In Sachen In-Ovo-Selektion gibt es bei den Anbauverbänden Bioland und Naturland keine offiziellen Richtlinienbeschlüsse. „Als Übergangslösung empfehlen wir die Aufzucht der Bruderhähne, allerdings muss es für dessen Fleisch auch eine Nachfrage geben“, sagt Bioland-Pressesprecher Gerald Wehde. „In der jetzigen Form lehnen wir die In-Ovo-Selektion ab, denn das Verfahren stärkt nur die Großbrütereien, die nach technischen Lösungen suchen.“ Sollte tatsächlich Klöckners Verbot des Kükentötens kommen, muss auch die Biobranche massiv umdenken. Können dann aufgrund fehlender Nachfrage nicht alle „Bruderhähne“ aufgezogen werden, braucht es eventuell Zwischenlösungen wie die In-Ovo-Selektion oder Ausnahmegenehmigungen für das Töten direkt nach dem Schlupf. (Nachtrag 03. August 2021: Mit Ausnahme von Biopark haben sich alle Bio-Anbauverbände gegen die Geschlechtsbestimmung im Ei entschieden und die Aufzucht der Bruderhähne ist Pflicht.)
Bioland und Naturland unterstützen die ökologische Tierzucht, damit in Zukunft wirtschaftlich tragfähige Zweinutzungsrassen verfügbar sind. Das sei das große Ziel. Die Tiere haben eine gute Balance in Sachen Legeleistung und Fleischzunahme, wie es vor der Zucht von hoch spezialisierten Rassen der Fall war. Allerdings sind und werden Zweinutzungstiere wohl den speziell auf eine Nutzungsart gezüchteten Hybriden in Sachen Effizienz immer im Nachteil und deren Produkte somit teurer sein. Mit der einseitigen Zucht auf entweder eine hohe Eierlegeleistung oder schnellen Fleischansatzes hat man zwar einen hohen Grad an Effizienz erreicht, allerdings auch Probleme geschaffen. Gleiches gilt für Hochleistungskühe: Sie geben im Jahr über 10.000 Liter Milch, aber die männlichen Kälber sind nicht für die Mast geeignet.
Hinter der Diskussion „töten oder aufziehen“ steht die große Frage, wie wir in Zukunft Lebensmittel produzieren und die ökologische Agrarwende gestalten. Werner Hockenberger plädierte auf der Podiumsdiskussion dafür, überall dort Zweinutzungsrassen einzusetzen, wo es Sinn ergibt und ansonsten Bruderhähne aufzuziehen. In seiner eigenen Bio-Brüterei konnte er im vergangen Jahr von 1,4 Millionen männlichen Küken immerhin 150.000 Bruderhähne aufziehen. In Zukunft sollen es alle sein. „Alleinig auf Zweinutzungsrassen setzen zu können ist utopisch“, stellte er allerdings klar. Der Geflügelzüchter ist sich jedoch sicher: „Die In-Ovo-Selektionen zementiert das bestehende großindustrielle System bis in die Ewigkeit.“
Hinweis: Die Podiumsdiskussion fand am 13.02.2020 auf der Biofach statt und trug den Titel „Zweinutzungshuhn oder Früherkennung im Ei – Welchen Weg wollen wir?“. Thomas Bonrat und Gerald Wehde waren nicht anwesend, beide habe ich im Zuge der Recherchen telefonisch befragt. Werner Hockenberger hatte an der Diskussion teilgenommen, im Nachgang habe ich noch einmal mit ihm telefoniert und Verständnisfragen geklärt. Sein letztes Zitat im Beitrag stammt aus dem Telefonat und ist daher so nicht während der Diskussion gefallen.
„Derzeit gibt es keine bessere, marktkonforme Option.“ Aber ein ethischere Option hat jeder: einfach auf Eier und Hühnerfleisch zu verzichten. Denn auch die „Super Demeter Bruderhahn“ Eier von Inga Günther können nicht darüber hinwegtäuschen: Das Huhn ist eines jener Nutztiere, deren Nutzungsdauer im Vergleich zur biologischen Lebenserwartung am Geringsten ist. Auch aus Gründen der Welternährung können wir es uns nicht erlauben, Monogastrier wie Hühner ineffektiv mit Getreide zu füttern, das Menschen auf direktem Weg satt machen könnte. Auch ein Demeterstall mit 25000 Legehennen ist abzulehnende Massentierhaltung!
Hallo Jens, danke für den prima recherchierten Artikel. Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass derzeit täglich ca. 124. 000 männliche Eintagsküken vergast und anschließend geschreddert werden. Ein skandalöses Verhalten! Dies ist lt. Bundesverwaltungsgericht solange erlaubt bis es „sinnvolle“ Alternativen gibt. Klares Ziel muss das sogenannte Zweinutzungshuhn sein; die Geschlechtsbestimmung im Ei darf nur als Zwischenlösung anerkannt und angewendet werden. Ethisch gesehen stellt meines Erachtens auch die Geschlechtsbestimmung im Ei mit anschließender Vernichtung eine Katastrophe dar. Viele Ethiker und mittlerweile auch Theologen wie z.B. Prof. Martin Lintner warnen vor einer Totalverzweckung von „Nutz-tieren“. Auch die soge. „Nutz-„tiere haben einen Wert an sich! Wir opfern sie auf dem Markt der „Wirtschaftlichkeit“. Eine Schande für unsere Kultur!
Ich finde Überschrift und Text täuschen den Leser: Es wird suggeriert, dass trotz gegenteiliger Behauptung geschlüpfte Küken getötet werden. Dies ist nicht korrekt, ein Embryo ist kein Küken.
Ansonsten ein schwieriges Thema, was aus meiner Sicht viel zu schwarz-weiß gesehen wird.
Die aufgeführte Methode zur Geschlechterbestimmung erscheint mir sinnvoll. Ein Schmerzempfinden des Embryos kann nahezu ausgeschlossen werden- selbst wenn Reize minimalst entstehen würden, geschieht die Zerstörung der Eier in Sekunden. Im Gegensatz zum Küken wird der Transport nicht wahrgenommen.
So richtig entzieht sich mir auch das Verständnis, warum bei Verbrauchern scheinbar heile Welt herrscht, wenn die männlichen Tiere aufgezogen werden. Wenn es nicht gerade Bio-Haltung oder vergleichbares ist, kommt die Aufzucht dem Tierwohl kaum zu Gute.
Und auch wenn die Tiere artgerecht aufgezogen werden: Was denkt ihr liebe Verbraucher, dass diese alle glücklich und zufrieden an Altersschwäche sterben? Oder ist das egal, weil Hähne halt einfach nicht mehr so süß sind wie plüschige gelbe Küken?
Die Problematik in dem Siegel, da stimme ich voll und ganz zu, ist, dass Verbraucher denken werden, die männlichen Küken würden aufgezogen werden. Der Schuss kann gewaltig nach hinten los gehen. Ich „freue“ mich auf die ersten kleine süße Embryos werden geschreddert Schlagzeilen…
Beste Grüße
Danke, dass du deinen Kommentar auf Facebook auch hier eingereicht hast, so dass ihn alle Leser sehen können. Auf Facebook hatte ich geantwortet:
Ja, ein Thema mit vielen Graustufen – direkt unter dem Beitrag bei „Brehl backt!“ wird dazu auch diskutiert (wenn du magst, kannst du auch da deinen Kommentar da als Kopie schreiben bzw. reinkopieren, damit ihn alle Leser sehen können). Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Embryo und Küken, daher ist es juristisch sehr wahrscheinlich in Ordnung die Eier „ohne Kükentöten“ zu bewerben, es ist ja „mit Embryotöten“. Aber die wenigsten Konsumenten sind vom Fach und werden diesen Unterschied so nicht vollziehen.
Spannendes Thema und sehr umfangreich dargestellt. Danke, Jens! Allerdings frage ich mich, ob die Beteiligten auch über andere Alternativen nachdenken: Ging es auch im die Reduktion der Bestände? Oder um Fleisch aus dem Labor? Gibt es zusätzlich vegetarische/vegane Entwicklungen oder Pläne wie bei Rügenwälder?
Danke. Eigentlich wollte ich rein über die Podiumsdiskussion schreiben, habe die dann aber als Startschuss für eine Recherche genutzt, da ich speziell über die Vermarktung der RespEGGt-Eier „gestolpert“ bin.
Hinter dem Thema mit vielen Graustufen stehen weitere große Themenblöcke und Systemfragen. Wollen wir in Zukunft so viele tierische Lebensmittel produzieren und konsumieren, können wir uns das ökologisch überhaupt leisten? Welche Tiere möchten wir in der ökologischen Landwirtschaft einsetzen (auch hier ist man in Sachen Hybrid-Huhn von wenigen Großunternehmen abhängig)? Wir stehen jetzt vor den Problemen der jahrelangen einseitigen Tierzucht. Ökologische Tierzucht oder bewährte Haustierrassen sind noch Nischenthemen.
Fakt ist auch, dass Lebensmittelhersteller Eiweiß und Eigelb als (möglichst billigen) Rohstoff benötigen, wie auch bei einigen vegetarischen Produkten beispielsweise von Rügenwalder. Es geht also um mehr als um die paar Eier, die wir uns in die Pfanne hauen oder mit denen wir Kuchen backen.
Manch einer wird auch fragen, wo für das Tier der Unterschied ist, ob es als Embryo, direkt nach dem Schlüpfen oder nach der Mast getötet wird. Sterben muss es so oder so.
Auf jeden Fall wird dieses Thema die Biobranche noch eine ganze Weile begleiten. Es bleibt spannend, wenn das Kükentöten nach dem Schlüpfen tatsächlich verboten werden sollte.
Bin mir ehrlich gesagt gar nicht so sicher was ich davon halte. Immerhin bin ich auch pro Abtreibung. Prinzipiell habe ich also kein Problem mit dem Töten von Embryonen. Auf den ersten Blick klingt es für mich daher schon nach einer Verbesserung. Zumindest auf ner emotionalen Ebene klingt es für mich richtig. Auch wenns faktisch schon etwas verwirrend ist.
Viele Konsumenten werden wohl davon ausgehen, wenn „ohne Kükentöten“ auf den Verpackungen steht, dass die männlichen Küken leben dürfen und aufgezogen werden. Dabei ist das Thema für viele Konsumenten immer noch erklärungsbedürftig. Zu Recht fürchtet Inga Günther eine Verwirrung der Kunden.
Fakt ist, die Branche sucht nach Lösungen für die Probleme der einseitigen Tierzucht der letzten Jahrzehnte. Auch bei Rewe gibt es Eier aus „Bruderhahnprojekten“: Mit einem Aufschlag von wenigen Cent pro Ei wird die kostspielige Mast der Hähne finanziert. Da sie weniger Fleisch ansetzen, kostet die Mast mehr und ein richtiges Brathähnchen wird daraus am Ende oft nicht. Daher wird Bruderhahnfleisch meist als Convinience verarbeitet.
Wenn ich mich nicht irre, gab es bei Rewe sogar die ersten konventionell „Bruderhahn“-Eier in Deutschland. Vorher gab es das nur im Biobereich.