Bis zum Jahr 2030 möchte die Bundesregierung 30 Prozent ökologische Landwirtschaft, in Agrarfläche ausgedrückt ist ein Drittel erreicht. Seit etlichen Jahren kommt allerdings die Bio-Schweinemast mit einem Anteil von lediglich einem Prozent nicht von der Stelle. Wichtigster Vertriebskanal für ökologische Fleisch- und Wurstwaren ist der konventionelle Handel. Doch auch beim Wachstumstreiber müsse Bio noch etliche Hürden nehmen, wie auf der diesjährigen Tagung diskutiert wurde, zu der das Aktionsbündnis Bioschweinehalter Deutschland nach Bad Mergentheim eingeladen hatte.
Bio-Anbauverbände und „die Philosophen“ in der Chefetage der konventionellen Lebensmittelhändler und Discounter seien sich in Sachen ökologischer Agrarwende schnell einig, kämen gut miteinander aus. „Es gibt aber noch zu viele in den Systemen, die kotzt Bio an, weil es unbequem und sperrig ist. Wir haben es in der Regel nicht mit überzeugten Bios zu tun“, mahnte Thomas Dosch, Sprecher der Tönnies-Gruppe. Es mache künftig bestenfalls keinen Unterschied, ob konventionelle oder Bio-Ware gehandhabt werden muss. Lobend erwähnte er in diesem Zusammenhang die Anbauverbände Naturland und Biopark, weil sie bundesweit denken und entsprechend aufgestellt seien. „Bei Bioland mit seinen Regionalgesellschaften wird es schon wieder komplexer.“
Weitere Schwierigkeiten brachte ein Branchenexperte aus dem Publikum zur Sprache, der seinen Namen an dieser Stelle nicht lesen möchte. „Ein Lidl-Einkäufer bewegt einen Milliarden Umsatz mit Wurst und wird nach Mengenprämie bezahlt. Und nun soll er ein Fünftel seiner Arbeitszeit in den viel kleineren Bio-Absatz investieren? An dieser Hürde scheitert Bio immer wieder.“ Ein weiteres Problem seien die Preisaufschläge: Per se ist Bio-Fleisch für die Händler im Einkauf teurer als konventionelle Ware, doch wenn wie üblich jeweils der gleiche prozentuale Aufschlag hinzukommt, ist der Preisabstand dann im Laden am Ende noch höher. „Egal ob Lebensmitteleinzelhandel, Bio-Fachhandel oder Discounter: Keiner kann mit absoluten Aufschlägen rechnen.“
Fleisch für jeden und die Botschaft muss stimmen
Auch für Roger Fechler, Leiter Fachbereich Vieh & Fleisch beim Deutschen Bauernverband, ist der Preisabstand beim Endprodukt ein Hauptgrund, warum die Bio-Schweinemast seit etlichen Jahren lediglich einen Anteil von einem Prozent auf sich vereint. Mit dem Handel in den Dialog zu kommen sei ein ambitioniertes Projekt, auf das er Lust hätte. Ziel: Tierhalter zu motivieren auf bio umzustellen. „Bio wird unbestritten als ein gutes Produktionsverfahren gesehen.“ Bei dem teils hohen Preis für Bio-Fleisch könne man viele Konsumenten allerdings nicht mitnehmen. Nun hofft er durch das geplante staatliche Tierhaltungskennzeichen für Mastschweine mit den Stufen 1 (gesetzlicher Standard) bis 5 (bio) mehr Qualitätsfleisch in den Handel zu bringen, so dass der Preisabstand zu bio nicht mehr so groß ausfällt. Heinrich Rülfing, Bioland-Schweinemäster und erster Vorsitzender Aktionsbündnis Bioschweinehalter Deutschland, sprach sich erwartungsgemäß dafür aus, Billig-Fleisch aus den Sortimenten komplett zu streichen. Dem widersprach Thomas Förster, Geschäftsführer des Fleischverarbeiters Gebrüder Förster GmbH. „Fleisch muss für jeden zugänglich sein.“
Gemeinsam „über bio“ ermöglichen
Dieser Artikel sowie alle Inhalte von „über bio“ sind für Sie kostenfrei.
Hochwertiger Journalismus kostet neben Zeit für Recherche auch Geld. Ich freue mich über jede Unterstützerin und jeden Unterstützer, die/der das Magazin via Banküberweisung, Paypal oder jederzeit kündbares Abo bei Steady ermöglicht. Seien Sie auch mit dabei.
Dosch betonte eindringlich, dass die gesellschaftlichen und ökologischen Vorteile von Bio-Produkten stärker in den Vordergrund gestellt werden müssen. „Menschen wollen mit ihrem Einkauf nicht zum Problem werden, sondern Teil der Lösung sein. Beispielsweise bei Fair Trade-Kaffee versteht jeder, dass die Erzeuger ein höheres Einkommen erzielen.“ Allerdings sei die Kommunikation nicht immer leicht. „Bio-Fleisch hat letztendlich mit Töten zu tun und das Schwein genießt kein gutes Image.“ Direktvermarkter, die auch einen Blick in die Ställe gewähren können, seien deswegen stark im Vorteil, sagte Tomás Sonntag, Ressortleiter tierische Produkte der Marktgesellschaft der Naturland Bauern AG. „In der Supermarkt-Fleischtheke sieht das Bio-Filet wie das konventionelle aus.“
Besser in gar keinem Anbauverband?
Tönnies ist der größte Produzent von Bio-Schweinefleisch und Dosch bekräftigte den Markt für Bio-Schweine weiter ausbauen zu wollen. Wie das konkret vonstatten gehen soll, blieb sein Geheimnis, denn mehr als diese wage Ankündigung kam nicht über seine Lippen. Auch dieses Mal gab es keinen Einblick, wie viele Bio-Schweine die Tönnies-Gruppe aktuell an den Haken bringt. Dosch entschuldigte sein Schweigen auf die Frage aus dem Publikum wortgewandt mit einem Lächeln.
Von 2006 bis 2011 stand er Deutschlands größten Anbauverband Bioland als Präsident vor, heute rät er „als überzeugter Verbandsmensch“ den Tönnies-Lieferanten von einer Mitgliedschaft in einem Anbauverband ab. „Niemand redet dazwischen und ich bin auf keinen Verarbeitervertrag angewiesen – den Tönnies nicht bekommt, weil das Unternehmen ‚per se böse ist‘. So arbeiten wir im Prinzip gegeneinander.“
Wie es weiter geht? Keine Ahnung.
Sonntag zeigte sich sehr optimistisch, die Ein-Prozent-Nische bei Bio-Schweinen bald zu verlassen. Der Leidensdruck in der konventionellen Tierhaltung sei groß genug. „Wir haben eine Flut Anfragen von umstellungswilligen Betrieben erhalten, wie ich sie noch nie erlebt habe. Es kommt in den nächsten Jahren einiges an neuen Bio-Betrieben auf uns zu.“ Man dürfe allerdings nicht zu schnell, zu viele Betriebe umstellen, um den Markt für Bio-Schweinefleisch nicht zu überhitzen. „Der Handel wird auch zunehmend mehr Bio-Fleisch in seine Sortimente einführen und entsprechend dafür werben“, war sich Sonntag in puncto steigender Nachfrage sicher. Heiko Reinhardt, Bioland-Bauer und stellvertretender Landesvorstand Bioland Baden-Württemberg, mahnte den Raubbau und das Verschwenden von Ressourcen in der intensiven Landwirtschaft an, die in der Form kein Zukunftsmodell sein kann. „Wir müssen zurück zum natürlichen Landbau, was der Handel akzeptieren muss.“
Konkrete Lösungsansätze oder ansatzweise neue Ideen brachte die Diskussion nicht hervor, die in weiten Teilen zu brav und einvernehmlich ablief. Vielleicht war die berufliche und teilweise private Nähe der einzelnen Teilnehmer untereinander ein Grund, sein Gegenüber nicht kritischer zu hinterfragen oder auf die eine oder andere Zahl zu drängen. Insgesamt war vieles des Gesagten im Kern richtig, bleib jedoch am Ende häufig schwammig – was auch einzelne Teilnehmer im Nachgang in persönlichen Gesprächen untereinander monierten. Zudem nahm keine Vertreterin, kein Vertreter des Handels teil. So wurde über diesen wichtigen Akteur für die Bio-Branche gesprochen, aber nicht mit ihm. Last but not least war es leider eine reine Männerrunde, auch wenn während der gesamten Bio-Schweinetagung in Bad Mergentheim in anderen Programmpunkten Expertinnen referierten.
Die Tagung fand vom 22. bis 24. Juni statt.
0 Kommentare zu “„Viele kotzt Bio an“”