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Wenn mein Teller die Welt verändert

Speisepläne seien nicht privat, sondern politisch. „Unsere Welt sieht so aus, wie wir essen“, sagte Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland e. V. am vergangenen Samstag auf dem Symposium der Interessengemeinschaft FÜR gesunde Lebensmittel (IG FÜR) in Fulda. Damit traf sie den inhaltlichen Kern der Tagung. Es gab nicht nur Einigkeit unter Experten und Gästen, sondern auch Zündstoff: So sorgte Bloggerin und Buchautorin Stina Spiegelberg für lebendige Diskussionen pro oder contra veganer Lebensweise.

„Ohne Bewusstseinsbildung geht gar nichts. Das Wichtigste ist, den Sinn unseres Tuns zu erkennen.“ Mit diesen philosophischen Worten eröffnete der Vorstandsvorsitzende der IG FÜR Georg Sedlmaier das diesjährige Symposium. Experten in Sachen gesunder Ernährung, Lebensmittelerzeuger und Genießer guter Lebensmittel fanden den Weg ins Morgensternhaus nach Fulda. Dieses Mal waren besonders viele junge Besucher anwesend, was auch für das facettenreiche Programm sprach. Zudem lud der leidenschaftliche Netzwerker Sedlmair die Mitglieder der Slow Food Jugendorganisation ein und übernahm deren Fahrtkosten. Es gelang ihm darüber hinaus, den Bundestagsabgeordneten Michael Brand (CDU) als ehrenamtliches Ehrenmitglied zu gewinnen.

Essen ist politisch

Gleich im ersten Vortrag steckte Dr. Katharina Reuter vom ökologischen Unternehmensverband UnternehmensGrün e. V. den großen Rahmen ab. „Wir klopfen uns für Nachhaltigkeit auf die Schulter, setzen aber die regionale Landwirtschaft unter Druck.“ Zudem plädierte sie für eine wahrhaftige Kommunikation in der Lebensmittelwirtschaft. Warum sei beispielsweise eine Bio-Banane mit „Bio“ gekennzeichnet, eine aus konventionellem Anbau aber nicht mit „Pestizid“? Auch seien in Lebensmitteln nicht die wahren Kosten eingepreist, die gesellschaftliche getragen werden. Wie im Falle von Trinkwasser, welches von Agro-Chemie gereinigt werden muss – wohingegen sich die ökologische Landwirtschaft um die Bodenqualität und Artenvielfalt kümmert. Doch es gäbe immer mehrere Blickwinkel was tatsächlich nachhaltig ist. Eine in Folie eingeschweißte Bio-Salatgurke halte länger, was potenziell weniger Lebensmittelabfall bedeutet. Allerdings ist die Folie selbst nach Gebrauch Müll.

Vegan ja oder nein?

Zündstoff für eine teilweise emotional geführte Diskussionen brachte Stina Spiegelberg mit. Seit 2008 lebt sie vegan, betreibt einen der ersten deutschen Blogs zum Thema und berät Naturkosthersteller. Ihr gehe es um ein gesundes Maß und nicht um Dogmen. „Über den Genuss kann man konstruktiv diskutieren.“ So gab Landwirt Werner Hartmann zu bedenken, Grünflächen könnten nur über das Halten von Tieren genutzt werden. Manch ein Teilnehmer vermutete bei veganer Lebensweise einen Vitamin B12-Mangel, den Spiegelberg mit einer entsprechenden Zahncreme vorbeugt. Natürlich soll Essen Spaß und Genuss sein und so gelang es auch auf sachlicher Ebene das eine oder andere Argument auszutauschen.

Die Bloggerin plädierte beim Einkauf zudem dafür, die Preise pro Nährwert und nicht pro Menge zu berücksichtigen. So betrachtet sei ein Vollkorntoast dann günstiger als Weißbrot.

Mit Genuss und Zeit

„Lebensmittel in Nährstoffe zu zerlegen führt zu Ernährungs-Moden“, sagte Dr. Ursula Hudson von Slow Food Deutschland. „Alle zehn Jahre wird eine neue Sau der Ernährungs-Philosophie durchs Dorf getrieben.“ Dennoch hätten wir mit der Art, wie Lebensmittel hergestellt werden die Wahl, ob wir nachfolgenden Generationen einen gesunden Planeten hinterlassen oder nicht. Damit spielte sie auf Monokulturen, zu großen Fleischhunger und Pestiziden im Boden an. Außerdem benötigten gute und fair produzierte Lebensmittel Zeit zum Wachsen und Reifen. Doch Genuss sei kein Luxus und kein elitäres Grundrecht, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung. Er stecke sehr oft im Einfachen.

Lösungen für eine gesunde Umwelt müssen geteilt werden

Für Soil & More International ist Tobias Brandel in der Welt unterwegs. Vor Ort berät er Landwirte bezüglich ökologischer Wirtschaftsweisen und geht dabei auf kulturelle Eigenarten ein. Die eigene Lebensart könne man nicht überstülpen. Sich mit ökologischer Nachhaltigkeit zu beschäftigen sei kein Trend, sondern eine wichtige unternehmerische Strategie, um auch künftig auf dem Markt bestehen zu können. Zudem sei es keine Checkliste, die man einfach abarbeiten könne, vielmehr müsse man Mitarbeiter begeistern. Statt in Hochglanz-Broschüren Märchen zu erzählen sei es ratsam, ehrlich zuzugeben was man (noch) nicht leisten könne.

Brandel stellte allerdings auch unbequeme Fragen, beispielsweise ob das Ausbringen von Kupfer als Fungizid in der ökologischen Landwirtschaft positiv für die Umwelt sei.

Essen für ein besseres Leben

Den gesundheitlichen Aspekten widmete sich die Medizinerin Dr. Susanne Kümmerle, welche stark und krankhaft Übergewichtige behandelt. Dabei komme es wesentlich darauf an, mit Patienten auf Augenhöhe zu sprechen und sie nicht für ihre Lebensweise zu verurteilen. Langfristige Erfolg gäbe es nur bei langsamen Abnehmen und oft seien Lösungen recht einfach: Das richtige Maß an Bewegung, sowie ein Obstteller auf dem Couchtisch statt Schokolade. Was oft vergessen wird: Auch ein stabiles soziales Umfeld sei enorm wichtig. „Wer mit dem Fernseher verheiratet ist, ist für eine ungesunde Lebensweise gefährdet.“

Faire Preise für Milchbauern

Maximal vier Jahre wurden der Upländer Bauernmolkerei auf Stammtischen vorhergesagt. Zum ersten Mal hatte ein Zusammenschluss von Landwirten eine stillgelegte Anlage reaktiviert – auch dank der Unterstützung vom BUND Nordrhein-Westfalen, der einen Beteiligungsfonds auflegte.

Die Upländer Bauernmolkerei blickt nun auf eine 20jährige Erfolgsgeschichte zurück. Bundesweit machte sie sich einen Namen, als sie die erste konventionelle Milch auf den Markt brachte, die komplett frei von Gentechnik ist. Dazu musste nicht nur das Tierfutter unter die Lupe genommen werden, sondern sämtliche Medikamente, die möglicherweise auf den Höfen zum Einsatz kommen – schließlich hatte eine große Molkerei gedroht zu klagen. Daher musste alles wasserdicht sein.

Seit 2008 verarbeitet die Molkerei ausschließlich Biomilch und davon nach eigenen Angaben 35 Millionen Liter jährlich. Der Clou: Bauern freuen sich mit 47 Cent pro Liter über einen fairen Milchpreis, der ihre wirtschaftliche Existenz dauerhaft sichert. „Selbst als die konventionelle Milch immer billiger wurde, stieg die Nachfrage nach unserer fairen Milch“, freute sich Karin Artzt-Steinbrink. Es gab aber auch schwierige Zeiten. So schlitterte die zugekaufte Käserei 2013 in die Insolvenz. Wie die Molkerei zuvor, sollte sie schrittweise auf 100 Prozent Bio umgestellt werden. Es platzte nicht nur ein Traum, sondern einige Landwirte verloren viel Geld.

Kakao statt Coca

Erneut ging es gedanklich in ferne Länder, als Dr. Uwe Meier von seinem Projekt „Friedenskakao“ berichtete. Sein Schlüsselerlebnis war eine Reportage über die Elfenbeinküste, wo Kindersklaven auf Kakao-Plantagen arbeiten. „Ich wollte mehr als ‚nur’ Bio“, und stellte klar, dass auch bei ökologischem Anbau oft Monokulturen zu finden sind. Seine Vision war ein „echter Dschungelkakao“, wobei er zusätzlich einen Beitrag für den Frieden leisten wollte. So bereiste er von Paramilitär und Drogenkartellen umkämpfte Gebiete in Kolumbien auf der Suche nach Kleinbauern, die statt Coca für die Kokain-Produktion Kakao anbauen. Dabei ist es ihm auch wichtig, dass die Flächen naturbelassen bleiben. Das Ergebnis: Dieser Tage kommt die erste Kakao-Lieferung aus Kolumbien an. Ein Chocolatier wird daraus einen Schoko-Löwen herstellen, später sollen auch Schokoladentafeln folgen.

Gemeinschaftsgärten: Ernährung in die eigenen Hände nehmen

Die Permakultur-Designerin Karin Frank sprudelte vor Energie, als sie im Abschlussvortrag von ihren Gemeinschaftsgarten-Projekten erzählte, welche sie initiiert und berät. Auf brach liegenden Flächen bauen vorwiegend Hobbygärtner ihr eigenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität an. „Wir sehen überall Flächen, auf denen man Gärtnern könnte“, sagte sie lachend. Selbst einen verwilderten Hochwasserdamm verwandelten vereinte Kräften in einen Gemüsegarten. „Viele kleine Projekte ergeben ein großes Paradies“, schwärmte Frank. Es sei für eine Gruppe aber auch herausfordernd und lehrreich, gemeinsam zu arbeiten. Zudem gehe es darum, ein Stück weit souverän zu werden und Lebensmittel in der Region anzubauen.

Die Vortragenden haben gezeigt, dass jeder Einzelne in Sachen gesunder und ökologisch nachhaltiger Ernährung einen wertvollen Beitrag leisten kann. Dazu heißt es aber auch Grenzen und Dogmen zu überwinden, denn nicht nur über Geschmack, sondern auch über Lebensweisen lässt sich trefflich streiten.

Nachtrag: Hinweis in eigener Sache

Die IG FÜR hat im Nachhinein freiwillig 300 Euro zzgl. Mehrwertsteuer für diesen Artikel bezahlt. Ich versichere: Niemand hat Einfluss auf dessen Inhalt genommen, noch bestand ein Auftrag, das Symposium zu besuchen und darüber zu berichten. Diesen Beitrag habe ich als freier Journalist auf Eigeninitiative verfasst. Wer mehr wissen möchte, findet die Hintergründe in meinem Medienblog „Der Freigeber“.

2 Kommentare zu “Wenn mein Teller die Welt verändert

  1. Jens Brehl

    Gerne habe ich noch Ihren Namen korrigiert!

  2. Werter Herr Jens Brehl
    Danke schön für Ihre sehr treffenden
    Beiträge zu unserem IG Für…Symposium in Fulda am 11.Nov und 12.Nov 2016.
    Georg Sedlmaier http://www.ig-für.de
    Können Sie meinen Namen noch
    berichtigen.

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