Kommendes Jahr möchte EWN Wurstspezialitäten aus dem brandenburgischen Britz – Inhaber der vor allem in Ostdeutschland bekannten Marke Eberswalder – seine ersten Bio-Produkte in den Handel bringen und setzt dabei besonders auf den Anbauverband Naturland. Der Einstieg der Tönnies-Familie soll hierbei kein Hemmschuh sein, im Gegenteil: Geschäftsführer Sebastian Kühn im Interview über den langen Weg ein umfangreiches Bio-Sortiment ins Leben zu rufen.
Sprechen wir als erstes den Elefanten im Raum an: Vergangenes Frühjahr ist die Familie Tönnies – mit weitem Abstand in Sachen Mengen und Umsatz die größten Schlachtunternehmer in Deutschland, von denen bewusste Bio-Konsumenten ein eher negatives Bild haben – bei Eberswalder eingestiegen. Warum war dieser Schritt nötig?
Zu Zeiten der DDR Ende der 1970er-Jahre gebaut, war unser Betrieb darauf ausgelegt ganz Berlin zu versorgen – und hat daher eine gewisse Größe und mit mehr als 45 Jahren mittlerweile auch ein stolzes Alter. Um die Jahrtausendwende sind wir als Familie angetreten, um den Standort zu erhalten.
Die Anforderungen an Lebensmittelhersteller sind in Deutschland recht hoch. Kontinuierlich heißt es Millionenbeträge in den Bestand zu investieren, wie in Maschinenpark und Gebäude. Dadurch ist allerdings noch kein Würstchen mehr verkauft und sind keine neuen Themen wie weitere Produktlinien oder ökologisch nachhaltigere Verpackungen angestoßen. Wir hatten den Punkt erreicht, nur mit einem starken Partner innovativ bleiben zu können, der die gemeinsamen Ziele verfolgt, die Marke Eberswalder weiter in die Zukunft zu tragen. Damit sind wir ein lebendiges Beispiel für den Strukturwandel in der Fleischwirtschaft.
Kaum vorstellbar, dass Tönnies direkt einen Verarbeitervertrag von Naturland oder von einem anderen Anbauverband erhält.
Das ist ausgeschlossen, wobei die Tönnies-Gruppe sich auch viele Gedanken zu Nachhaltigkeit macht und Verbands-Bio gegenüber offen ist. Deutschlands umsatzstärkstes Schlachtunternehmen möchte weiterhin ein großer Player sein, was automatisch verlangt, sich intensiv mit Tierwohlaspekten zu beschäftigen. Der Lebensmitteleinzelhandel und besonders die Discounter bauen ihre Sortimente mit Produkten aus höheren Haltungsstufen um. Für Bio ist das eine große Chance, weil dann Preisunterschiede sinken.
Wie frei können Sie die Weichen in Richtung Bio stellen?
Auf höchster Ebene stimmen wir uns ab und es herrscht Einvernehmen, dass jeder Schritt in Richtung Bio-Verbandsware eine Investition ist. Den Weg wollen wir gemeinsam angehen und wir werden es schaffen. Um es klar zu sagen: Nach knapp über einem Jahr gibt es keine hemmenden Einflussnahmen seitens Tönnies. Naturland war zunächst skeptisch und wir mussten viel erklären, um den Verarbeitervertrag behalten zu können.
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Seit 2006 verarbeiten Sie vom Ökodorf Brodowin gelieferte Rinder zu verschiedenen Sorten Bio-Salami als einziges Bio-Sortiment aus dem Hause Eberswalder. Warum soll es erst fast 20 Jahre später als weiteres Standbein ausgebaut werden?
Als erster Fleischverarbeiter in ganz Brandenburg waren wir bio-zertifiziert, haben nur nie richtig etwas daraus gemacht. Neben der bestehenden Kooperation mit Brodowin hatten wir kurzzeitig Bio-Currywurst produziert. Im konventionellen Segment haben wir mit bis zu 350 verschiedenen Artikel schon eine sehr große Vielfalt und möchten uns auf die wesentliche Produktgruppen konzentrieren: Würstchen, Bratwurst ohne Darm, Knüppelsalami – das sind die drei Eberswalder Aushängeschilder. Hinzu kam vor gut fünf Jahren unsere vegetarische Produktlinie.
Lange waren wir unschlüssig, wie wichtig das Bio-Segment werden könnte und hatten folglich auch Unsicherheiten zu Mengengerüsten. Im Bio-Fachhandel waren wir nicht unterwegs, erst in den letzten Jahren haben der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel und der Discount ihr Bio-Sortiment bei Fleisch und Wurst ausgebaut. Vielleicht haben wir zu sehr im eigenen Saft geschmort und erste Chancen verpasst, als der Markt Fahrt aufnahm.
Was war die Initialzündung den ökologischen Dornröschenschlaf zu beenden?
Handelsketten, die wir bereits im Osten Deutschlands mit unserer Traditionsmarke und regionaler Ware beliefern, haben nach Bio-Produkten gefragt. Da Rewe und Aldi mit Naturland kooperieren, haben wir uns für diesen Anbauverband entschieden. Die Richtlinien der Anbauverbände sind gerade in der Tierhaltung deutlich strenger als EU-Bio. Wenn wir uns auf den Bio-Weg machen, dann wollen wir auch die Königsdisziplin. Man braucht Qualität und Geschichten, um sich im hart umkämpften Wettbewerb behaupten zu können. Natürlich haben wir eine vor allem im Osten starke Marke und können mit traditionellen Rezepten punkten. Dennoch sind wir nicht allein im Markt, andere produzieren auch gute Würstchen.
Was ist der aktuelle Stand?
Explizit geht es nicht darum, bestehenden Wettbewerbern Lieferanten abspenstig zu machen oder bereits zertifizierte Erzeuger zu Verbandswechseln zu animieren. Wir möchten neue Landwirte für Bio und ganz speziell für Naturland begeistern, um die Kapazitäten auszubauen. Für uns bedeutet das, finanziell ins Risiko zu gehen, denn nur langfristige vertragliche Sicherheit ermöglicht Erzeugerbetrieben Investitionen, um uns die Rohstoffe zu garantieren. Im ersten Schritt konzentrieren wir uns auf Bio-Schweine, weil im Gegenzug zu Rindern das Spektrum für Wurstprodukte vielfältiger ist. Zum Start benötigen wir allerdings eine gewisse Schwungmasse.
Von wie vielen Tieren reden wir?
Wöchentlich müssen es schon 300 Bio-Schweine sein, um dem Handel in ausreichender Menge eine Produktvielfalt von der Lyoner über Wiener Würstchen, Leberwurst bis zu Edelteilen wie Filet und Kotelett anbieten zu können.
Alle Bio-Anbauverbände erlauben einen maximalen Transport von 200 Kilometer bis zur Schlachtstätte. Wo sollen die Tiere an den Haken kommen?
In meinen Augen ist der zu Tönnies gehörende Schlachthof Weißenfels in Sachsen-Anhalt prädestiniert, der sich noch bio-zertifizieren müsste. Zusätzlich würde der Betrieb von uns als Naturland-Partner einen Dienstleistungsauftrag erhalten – wir haben also noch etwas Bürokratie zu bewältigen.
Was werden die größten Herausforderungen beim Vermarkten der neuen Bio-Produkte sein, die 2025 in den Handel kommen sollen?
Wiener Würstchen allein im Portfolio – das wird nicht reichen. Die Wirtschaftlichkeit wird sich am Ende daran bemessen, welchen Mengenanteil wir vom Tier als Verbandsware absetzen können. Damit müssen wir in dem Segment rentabel werden, ohne uns in zu viele Produkte zu verrennen. Was als EU-Bio oder gar konventionell abfließen muss, bringt entsprechende Preisabschläge mit sich – und Bio-Schweine haben eben deutlich höhere Einkaufspreise als konventionelle. Aber auch weniger Beliebtes wie Blut, Innereien, Ohren, Füße und Borsten gilt es zu vermarkten – in diesem Bereich hat Tönnies und haben wir durch unsere Regionalprogramme einiges an Erfahrungen.
Der Weg zu einem erfolgreichen Bio-Sortiment ist eben steinig und umfangreich. Ist die Wertschöpfungskette für die Verbandsware jedoch erstmals aufgebaut, verschafft uns dies eine starke Positionierung im Wettbewerb: ein weiterer nachhaltiger Baustein unseren Standort in Britz langfristig zu erhalten.
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